Wenn harte Männer weinen

Bernd Bauer erlebt als Polizist Grauenhaftes, kommt aber mit der extremen Belastung klar

 

Polizisten erleben in ihrem Beruf immer wieder Extremsituationen: Erst am Sonntag mussten Polizisten in Maintal auf einen Mann schießen. Bernd Bauer (54) ist bei der Polizei, seit er 16 ist. Der Gelnhausener hat viele belastende Situationen erlebt und berichtet, wie er damit umgeht.

 

Er kann die Schreie heute noch hören. Es war eins von den besseren Offenbacher Häusern, in das Bernd Bauer gerufen wird. Der Polizist eilt in die Wohnung, sieht, wie die Mutter auf ihrem Jungen sitzt, ihn in das Ehebett rückt. Der Knabe wehrt sich mit aller Kraft, will loskommen, schreit immerfort: „Lass mich, ich will sterben – ich bin ein Mörder!“

 

Es ist der Beginn der Sommerferien. Kurz zuvor hat der Teenager noch mit seinem besten Freund herumgetollt. Ihr Spielzeug ist der Karabiner vom Opa. Im Gerangel löst sich ein Schuss. Es ist ein grauenvolles Szenario, in das Bauer kommt. 20 Jahre ist das her, doch für den Gelnhausener ist heute noch jedes Detail präsent. Er ist einer von den Harten, als Polizeiführer vom Dienst im Präsidium Südosthessen in Offenbach verlangt er von seinen Frauen und Männern Höchstleistungen. Doch wenn der 54-Jährige von der Tragödie damals berichtet, wird er ganz ruhig. Die Emotionen kommen hoch. Das viele Blut, die verzweifelte Mutter, der sterbensunglückliche Schütze, und ein Vater, der sich im Bad verbarrikadiert. „Ich habe die Tür eingetreten“, erinnert sich Bauer, „ich hatte Angst, der bringt sich um.“ Es ist die Zukunft der Familie, die Bauer in diesem Augenblick verzweifeln lässt. „Ich hab mir überlegt, wie alle Beteiligten damit nur weiterleben sollen. Wie sollen sie mit ihren Freunden klarkommen? Was macht der Junge in der Schule?“ Der Vater zweier Kinder malt sich aus, wie schnell auch seiner Familie so ein verheerendes Unglück zustoßen kann. Er fängt an zu weinen wie ein Schlosshund.

 

Erst spät haben die Chefs von Soldaten, Feuerwehrleuten und auch Polizisten erkannt, dass ihre Frauen und Männer zwar hart im Nehmen, aber keine Maschinen sind. Wer mit furchtbaren Unfällen und schrecklichen Verbrechen konfrontiert wird oder selbst auf andere Menschen schießen muss, trägt das ein Leben lang mit sich. Manche schaffen es nicht und quittieren den Dienst. Andere verdrängen das Erlebte und wundern sich, warum es in Form von Aggressivität, Schlaflosigkeit oder Konzentrationsschwierigkeiten immer wieder durchbricht. Heute sind die Behörden weiter, es gibt Kriseninterventionsteams und psychologische Nachbetreuung.

 

Damals musste Bernd Bauer alleine klarkommen. Das Ganze heute noch mal professionell angehen? Der Hauptkommissar schüttelt den Kopf. „Das ist doch jetzt zu spät.“ Auch aus der Sache mit dem angeschossenen Pfarrer, der in Bauers Armen starb, will der Gelnhausener heute kein großes Ding mehr machen. Es ist der Sommer 1976. Der 19-Jährige ist in seinem dritten Jahr bei der Polizei. Dann der Anruf: „Schüsse im Offenbacher Kolpinghaus.“ Zusammen mit einem erfahrenen Kollegen fährt Bauer hin – nur zu zweit, heute ein Ding der Unmöglichkeit. Als sie ankommen, hören sie noch den letzten Schuss. Ein Pfarrer liegt angeschossen im Foyer und stirbt in Bauers Armen. Das Rote Kreuz traut sich erst nicht ran, weil der Schütze überall sein kann. Später stellt sich raus: Ein eifersüchtiger Mann hat sich seine Frau, die gerade im Kolpinghaus war, geschnappt und im Klo erschossen. Auch sich selbst versucht er zu richten. Der Pfarrer war halt zur falschen Zeit am falschen Ort. An dem Ort, den auch ein „junger Spritzer, der von nix ne Ahnung hat“ (Bauer) betritt. Er findet ein Schlachthaus vor. „Sicher hatte ich Angst“, sagt Bauer. „Jeder hat das.“ Erst später realisiert der junge Mann, dass auch er in Lebensgefahr geschwebt hat. „Das ist mir alles erst so richtig klar geworden, als ich wieder auf der Wache war.“ Ein kurzer Schnack mit den Kollegen, dann geht der Jung-Polizist zur Tagesordnung über. Betreuung gab es damals keine.

 

„Heute ist das ganz anders“, lobt Bauer. „Polizist zu sein, das ist für mich kein Job, sondern eine Berufung“, sagt der 54-Jährige, und man glaubt es ihm. Er liebt seinen Beruf, obwohl er den Wahnsinn, den er während der Dienstzeit erlebt, auch mit nach Hause nimmt. Dann hockt er nach dem Spätdienst auf der Couch und kann nicht schlafen. Wenn sich seine Frau müde zu ihm setzt, erzählt er ihr ein bisschen. Von traumatisierten Lokführern, die Menschen überfahren haben. Von jungen Witwen, die jetzt auch noch ihren Sohn zu Grabe tragen müssen. Seine Frau versteht ihn. Dass er manchmal keine Kraft mehr hat, familiäre Dinge auszudiskutieren. Dass er zwei Stunden durch den Wald joggen muss, um den Kopf freizukriegen. Dass er sein Leben lang nur Schutzmann sein wollte, der Schwachen hilft, aber zum Dank für manche einfach nur eins von den „Bullenschweinen“ ist, denen man aufs Maul hauen muss.

 

Schießen musste Bauer noch nie auf jemanden, dafür hat er schon einen Schuss in die Hand kassiert. Und einen Zahn haben sie ihm auch ausgeschlagen, in dieser Massenschlägerei damals. „Aber das ist der Beruf“, sagt er abgeklärt. „Es ist halt nicht wie im Fernsehen.“ Zum Glück gibt es auch Geschichten, die gut ausgehen. Wenn er eine Frau, die sich umbringen will, davon abbringen kann. Und deshalb ist für Bernd Bauer, den ewigen Schutzmann, klar: „Ich liebe meinen Beruf. Ich wollte nie etwas anders sein.“



Für Hanauer Anzeiger, Gelnhäuser Tageblatt, Kinzigtal Nachrichten

 

Prämiert mit dem Medienpreis für herausragende Polizeiberichtertstattung der Mörtl-Stiftung 2012

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© Julia Weigelt