Partnerschaft ist eine mühsame Sache: Besuch beim hessischen Jägerregiment 1 der Bundeswehr, das in Afghanistan die Zeit nach dem Abzug vorbereitet.
Der Abzug deutscher Truppen aus Afghanistan ist beschlossene Sache. Die Isaf-Mission („International Security Assistance Force“) läuft für die Deutschen 2014 aus. JuliaWeigelt berichtet in
mehreren Beiträgen von ihrem Truppenbesuch und darüber, wie das hessische Jägerregiment 1 der Bundeswehr afghanische Soldaten auf die Zeit nach dem Isaf-Einsatz vorbereitet.
Hauptmann Sebastian Kistner (Name geändert) ist bestens ausgebildet, gut ausgerüstet und war echt motiviert. „Ich wusste, dass es schwer wird“, sagt der 29-Jährige. „Aber dass es
solche Tiefphasen gibt – ich bin echt froh, wenn’s heim geht.“ Was den jungen Mann so fertig macht, sind keine Kampfeinsätze. Nicht die Angst vor Tod und Verwundung zehrt an seinen Nerven. Es ist die
Sisyphosarbeit, die er und seine Männer hier im nordafghanischen
Camp Mike Spann täglich machen.
Fünf Mal die Woche fahren sie raus und versuchen, ihrem Partner-Bataillon, Kandak genannt, militärische Grundlagen beizubringen. Seit fünf Monaten. Vor allem die Navigation mit
Landkarten ist bei den Afghanen unbeliebt. „Drei Stunden hab’ ich unsere Partner am Vorabend in die Karte eingewiesen“, erzählt der junge Mann. „Und dann sind wir am Tag der Operation nach einer
halben Stunde schon von der Route abgekommen.“ Ein geplantes Treffen mit der afghanischen Polizei platzt. „Die lesen die Koordinaten falsch rum, arbeiten wenn’s hoch kommt drei Stunden am Tag und
scheren sich nicht darum,ob ein Konvoi zusammenbleibt“, klagt Kistner. „Da gibt es dann drei Marschgruppen, die alle dasselbe Ziel haben. Die afghanische Polizei fährt mit 130 vorweg,die afghanische
Armee mit 80 hinterher, und wir kommen mit 60 am Schluss.“ Er könnte ewig weitererzählen. Dass nicht nur das kleine, sondern auch das große Geschäft in den Sand gleich neben die Kochstelle gemacht
wird. Dass mitten in der Patrouille auf einmal Schüsse fallen, weil ein Afghane spontan Lust hat, Vögel zu jagen.
Aber jetzt hat Kistner keine Zeit mehr. Es geht wieder raus. Eigentlich war für heute eine große gemeinsame Aktion geplant, aber am Vorabend kam die Nachricht aus dem afghanischen
Partner-Kandak, dass ein Fahrzeug ausgefallen sei. Obwohl wenig später ein
Reparaturtrupp den kaputten Ranger wieder in Gang gebracht hat, bleibt der zuständige Kompaniechef dabei: „Heute findet nichts statt.“ Nach inständigen Bitten lassen sich die Afghanen immerhin darauf
ein, imnächsten Dorf ihres Außenpostens Chahar Bolak bei
einer Cimic-Aktion dabei zu sein. Cimic bedeutet zivil-militärische Zusammenarbeit, in diesem Fall werden Schulhefte, Stifte und Spielzeugdrachen verschenkt.
Die Ankunft der Deutschen mit ihren afghanischen Partnern hat sich in dem Dörfchen Nawarid schnell herumgesprochen. Aus Lehmhäusern und von nahen Feldern strömen
Erwachsene und Kinder in den schattigen Hof der Moschee. Ein paar Pappkartons stehen auf dem Boden. Dann beginnt die Diskussion: Der Mullah will die Reste der Materialien haben, Hauptmann Kistner
will, dass jedes Kind hier etwas bekommt und der Rest in den afghanischen Außenposten geht. Am Ende setzt sich der Mullahdurch, und ein heilloses Durcheinander beginnt. Zuerst stürmen die Jungs auf
den afghanischen Soldaten ein, der Mäppchen, Stifte und Bälle austeilt. Eine Gruppe Mädchen sitzt derweil am Rand und kriegt das, was übrig bleibt. Wenn die Kinder zu übermütig nach den Stiften
angeln, teilen Mullah und Dorflehrer Kopfschläge, später Rutenstreiche aus. Kistner kennt das schon, kalt lässt es
ihn dennoch nicht. Aber er ist nur für militärische Ausbildung zuständig. Deshalb bittet er den Zugführer der afghanischen Soldaten mit Hilfe seines Übersetzers: „Sorge doch mal dafür, dass deine
Männer die Moschee von außen sichern und nicht im Schatten dösen.“
Der Kompaniechef der Afghanen hat sich bei derAktion erst gar nicht blicken lassen.
Auf der Rückfahrt von Chahar Bolak zum Camp Mike Spann ist von der gelösten Stimmung des Tages nichtsmehr zu spüren. Statt Neuer Deutscher Welle, wie auf der Hinfahrt, dröhnt jetzt Heavy Metal aus
den Boxen im gepanzerten „Dingo“. Es gab eine Warnung, Aufständische könnten eine improvisierte Sprengfalle entlang der Route vergraben haben. Doch es bleibt ruhig, der Konvoi erreicht ohne
Zwischenfälle das sichere Lager. Hauptmann Sebastian Kistner kann sich nach einem langen Tag bei 40 Grad im Schatten seine schwere Schutzweste ausziehen und endlich duschen.
Stichwort OMLT
Das internationale Operational Mentor and Liaison-Team (OMLT) hat den Auftrag, die afghanische Armee anzuleiten und zu beraten, die Entwicklung zu bewerten und Operationen zu unterstützen. Die
OMLT-Soldaten treffen sich dafür beinahe täglich mit ihren afghanischen Partnern und beraten sie. Kommandeur des OMLT der 3. Brigade im nordafghanischen Camp Mike Spann ist Oberst Gunter Schneider,
der in Deutschland das hessische Jägerregiment 1 führt.